Ein Gespräch in einer solchen Situation zu führen, ist weder einfach noch angenehm. Schnell schwankt man zwischen Empathie und Irritation, zwischen dem Wunsch zu unterstützen und der Notwendigkeit, klare Grenzen zu setzen. Dennoch verfolgt dieses Gespräch ein klares Ziel: der betroffenen Person die beobachteten Abweichungen oder Veränderungen in ihrer Arbeitsweise bewusst zu machen.
In kleinen und mittleren Unternehmen, in denen nicht immer eine strukturierte Personalabteilung oder geschulte Ansprechpersonen vorhanden sind, kann diese Aufgabe besonders herausfordernd sein. Umso wichtiger ist eine gründliche Vorbereitung: die Fakten sorgfältig sammeln, einen klaren Rahmen für das Gespräch festlegen und konkrete Ziele sowie Zeitpläne definieren.
Interventionsschema bei Auffälligkeiten am Arbeitsplatz

Für eine Intervention müssen Fakten gesammelt werden. Es geht nicht darum, Hinweise auf einen problematischen Suchtmittelkonsum festzuhalten, sondern wiederholt beobachtete Auffälligkeiten in Arbeitsverhalten und Leistung. Die Intervention beginnt also nicht auf Grundlage von Verdachtsmomenten auf Konsumprobleme, sondern auf Basis konkreter Fakten aus den vergangenen Monaten und vereinbarter Ziele.
Beispiele für solche Fakten (vgl. umfassendere Liste in Kapitel «Auffälligkeiten in Arbeitsverhalten und Leistung»:
- Unbegründete Kurzabsenzen
- Häufige Verspätungen
- Fehler
- Zwischenfälle
- Nichteinhalten von Fristen
- Einbussen in Arbeitsqualität und/oder Leistung
- Aggressivität
- Empfindlichkeit
- Rückzug
- Stimmungsschwankungen
Ein einzelnes Anzeichen reicht selbstverständlich nicht aus, um ein Vorgehen einzuleiten. Die genannten Beispiele dürfen niemals als Beweis für einen problematischen Substanzkonsum gewertet werden. Veränderungen können auch andere Ursachen haben, etwa persönliche Schwierigkeiten, familiäre Probleme, Krankheit oder eine komplizierte finanzielle Situation.
In jedem Fall besteht die Aufgabe der Führungskraft nicht darin, eine Diagnose zu stellen, sondern sich auf die Beobachtung konkreter Fakten zu beschränken. Eine mögliche Abhängigkeit kann nur von medizinischen Fachpersonen beurteilt werden.
Erstes Gespräch mit der betroffenen Person
Nachdem Vorgesetzte ihre Beobachtungen über einen gewissen Zeitraum hinweg festgehalten haben, wird die betroffene Person zu einem Gespräch gebeten. In diesem geht es darum:
- die festgestellten Veränderungen am Arbeitsplatz darzulegen
- nach Erklärungen zu fragen
- den vorgebrachten Gründen des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin Gehör zu schenken
- die Anforderungen gemäss Pflichtenheft in Erinnerung zu rufen
- über das weitere Vorgehen gemäss Interventionsschema zu informieren
- seiner Besorgnis Ausdruck zu verleihen seine Erwartungen gegenüber der Mitarbeiterin / dem Mitarbeiter zu formulieren
- Ziele zur Verbesserung der Leistung festzulegen
- die Dauer der Beobachtungsphase zu bestimmen
- einen Termin für das nächste Gespräch zu vereinbaren
- ein Gesprächsprotokoll zu verfassen
- das Protokoll zu unterzeichnen und es vom Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin gegenzeichnen zu lassen
Solche Gespräche zu führen ist schwierig. Vorgesetzte sollten sich bewusst sein, dass ihre Haltung – z. B. Ausdrucksweise und Gestik – einen grossen Einfluss darauf hat, wie das Gegenüber reagiert. Es kann deshalb hilfreich sein, zur Vorbereitung des ersten Gesprächs eine Personalfachperson beizuziehen.
Evaluationsphase
Die Dauer dieser Phase ist variabel – in der Regel zwischen einem und vier Monaten, je nach Unternehmen, Abteilung oder den spezifischen Anforderungen der Position – und dient dazu zu beurteilen, ob es der Person gelingt, sich neu zu positionieren.
Die oder der Vorgesetzte beobachtet die Entwicklungen: Verbesserung, Stillstand oder Verschlechterung der Situation. Diese Beobachtungen werden in einem Dokument festgehalten, das als Grundlage für das nächste Gespräch dient.
Ziele erfüllt: Schlussgespräch
Die oder der Vorgesetzte und die betroffene Person fassen die Evaluationsphase zusammen. Beide Parteien bringen ihre Sichtweise ein. Dieses Gespräch behandelt folgende Punkte:
- Ein Gespräch über die beobachteten Verhaltensweisen
- Eine Erinnerung an die beim vorherigen Gespräch festgestellten Fakten
- Eine Einschätzung der vergangenen Wochen/Monate
Die Gesprächsinhalte werden schriftlich festgehalten und das Dokument wird von beiden unterzeichnet.
Hat der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin einen Grossteil der Ziele erreicht, beendet die Führungskraft die Intervention. Bevor das Dossier ad acta gelegt wird, sollen Führungskräfte
- erklären, dass die Ziele erreicht worden sind
- die Verbesserung der Leistungen würdigen dem Mitarbeiter bzw. der Mitarbeiterin Anerkennung aussprechen
- ihn oder sie ermutigen, in der gleichen Richtung weiterzumachen
- Ziele zur Verbesserung der Leistung festzulegen aufmerksam bleiben
Ziele nicht erreicht: Klärungsgespräch
Die Führungskraft und die bzw. der Mitarbeitende werten die Beobachtungsphase zusammen aus. Beide legen ihre Sicht der Dinge dar. Das Gespräch umfasst:
- Ein Gespräch über die beobachteten Verhaltensweisen
- Eine Erinnerung an die beim vorherigen Gespräch festgestellten Fakten
- Eine Einschätzung der vergangenen Wochen/Monate
Die Gesprächsinhalte werden schriftlich festgehalten und das Dokument wird von beiden unterzeichnet.
Stellen Vorgesetzte fest, dass ein Grossteil der beim ersten Gespräch festgelegten Ziele nicht erreicht worden ist, fragen sie die Mitarbeiterin / den Mitarbeiter, ob nichtberufliche Gründe (persönliche oder familiäre Gründe, Krankheiten etc.) die Ursache für die festgestellten Auffälligkeiten sind.
Dieses schwierige Gespräch, das man auch „konstruktive Konfrontation“ nennt, sollte im Prinzip von Personalverantwortlichen des Unternehmens geführt werden. Am Gespräch nimmt auch die vorgesetzte Person teil, welche die Veränderungen festgestellt hat. Nach Möglichkeit kann der/die Mitarbeitende eine Person freier Wahl aus dem Unternehmen für das Gespräch beiziehen (Arbeitskollege, Mitarbeiterin des Sozial- oder Gesundheitsdiensts, Personalkommission).
Gibt es keine HR-Abteilung wird die Führungskraft von folgenden Personen begleitet: einer übergeordneten Person oder Abteilungsleitung bzw. der Geschäftsführung bei kleineren Strukturen. In diesem Verfahrensschritt ist es entscheidend, dass eine offizielle Mitteilung erfolgt.
Die Ziele dieses Gesprächs sind,
- die beobachteten Auffälligkeiten in Erinnerung zu rufen
- festzuhalten, dass der Leistungsabfall vom Unternehmen nicht länger toleriert werden kann
- über die möglichen Disziplinarmassnahmen zu informieren, die getroffen werden, falls die Arbeitsleistung weiterhin nicht wie gefordert erbracht wird und die formulierten Ziele nicht erreicht werden
- die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen den beobachteten Veränderungen und einem problematischen Suchtmittelkonsum anzusprechen
- über das Hilfsangebot des Unternehmens zu informieren
- bei der Person ein Bewusstsein für den Ernst der Lage zu wecken
- die Person ermutigen, Hilfe anzunehmen
Die an diesem Gespräch teilnehmenden Personen müssen der betroffenen Person auf angemessene Weise klarmachen, dass ihr Verhalten am Arbeitsplatz ein Problem für das Unternehmen darstellt und langfristig nicht akzeptiert werden kann. Ziel ist es nicht, direkt auf das Konsumverhalten einzugehen, sondern die Auswirkungen auf die Arbeitsqualität und die beruflichen Leistungen zu thematisieren.
Dieses Klärungsgespräch soll dazu dienen, konstruktive Lösungen und ein Hilfsangebot für die betroffene Person zu unterbreiten – vorausgesetzt, sie ist bereit, dieses anzunehmen.