Privatleben/Arbeitsleben
Beschäftigt man sich mit den Folgen des Suchtmittelkonsums und problematischen Verhaltensweisen im beruflichen Umfeld, stellt sich immer auch die Frage nach der Grenze zwischen Privat- und Berufsleben. Auch wenn es jeder und jedem selbst überlassen ist, wie sie bzw. er sein Leben gestalten will, müssen Angestellte fähig sein, ihre Arbeit auszuführen, wenn sie zur Arbeit erscheinen (VUV Art. 11 Ab.3).
So kann beispielsweise ein feuchtfröhlicher Abend Auswirkungen auf die Arbeitsleistung am nächsten Tag haben. Wer um Mitternacht eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille hat, erwacht um 6 Uhr immer noch mit ungefähr einem Promille. Kater, Restalkoholgehalt und Schlafmangel können die Reaktionszeit verlängern, zu Konzentrationsproblemen und unkoordinierten Bewegungen führen sowie unangemessene oder riskante Entscheidungen begünstigen.
Auch der Konsum anderer Substanzen wie Cannabis oder bestimmter Medikamente kann die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. Ebenso kann exzessives Geldspiel Auswirkungen auf das Berufsleben und die erbrachte Arbeitsleistung haben – insbesondere dann, wenn es die Person daran hindert, ihr Leben und ihre sozialen Beziehungen funktional zu gestalten (z. B. durch Stress und Angstzustände infolge finanzieller Verluste).
Konsequenzen für den Betrieb
Je nach verschiedenen Faktoren (Suchtmittel/-verhalten, individuelle oder umweltbedingte Einflüsse) kann es vorkommen, dass die beruflichen Fähigkeiten einer Person abnehmen. Im Folgenden eine nicht abschliessende Liste möglicher Folgen, die am Arbeitsplatz auftreten können, wenn keine entsprechenden Massnahmen zur Prävention und zum Umgang mit bestimmten Situationen ergriffen werden:
- Gesundheitliche Schäden
- Häufige Absenzen
- Verschlechterung der Beziehung unter Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen
- Auswirkungen auf das Arbeitsklima
- Verschlechterung der Arbeitsqualität
- Produktivitätsminderung
- Sinken des persönlichen Engagements, zunehmende Antriebslosigkeit
- Verminderte Aufmerksamkeit
- Vermehrt Zwischenfälle und/oder Unfälle
- Zunahme von Problemen, die zu Disziplinarmassnahmen führen
- Hohe Fluktuationsrate (Turnover)
- Steigende Kosten für Ausbildung und Rekrutierung
- Imageverlust des Unternehmens
- Steigende direkte und indirekte Kosten
In bestimmten Fällen kann die Verantwortung des Arbeitgebers geltend gemacht werden. Daher ist es für Arbeitgeber von zentraler Bedeutung, präventive Massnahmen in Zusammenarbeit mit spezialisierten Fachstellen umzusetzen.
Einige Zahlen
Das Thema Sucht/Konsum in Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz wurde in den letzten Jahren nur wenig erforscht. Häufig werden Quellen zitiert, die zum Teil bereits mehrere Jahrzehnte alt sind. Besonders in der Literatur zum Thema Alkohol am Arbeitsplatz stützen sich neuere Studien oft auf die Ergebnisse älterer Arbeiten. Zudem variieren von Studie zu Studie sowohl die Problemdefinition als auch die angewandten Methoden, was eine Gesamtsicht erschwert. Dennoch sind Daten vorhanden.
Im Jahr 2010 wurde in einer Studie speziell die Kosten des Alkoholkonsums am Arbeitsplatz in der Schweiz untersucht. Die wichtigsten Erkenntnisse sind:
- Betroffene Personen: 2 % der Erwerbstätigen weisen einen problematischen Alkoholkonsum auf. Während etwas mehr als ein Drittel der Unternehmen Personen mit problematischem Konsum beschäftigt, geben über die Hälfte der Betriebe an, keine solchen Angestellten zu haben.
- Besonders betroffene Branchen: Die Hotellerie ist am stärksten betroffen, mit über 5 % der Beschäftigten, die problematisch trinken. Auch das Baugewerbe und die Maschinenindustrie liegen über dem Durchschnitt, während in der öffentlichen Verwaltung die geringsten Werte verzeichnet werden.
- Unternehmensgrösse: In grossen Unternehmen (über 100 Mitarbeitende) liegt der Anteil der Personen mit problematischem Alkoholkonsum bei 1,7 %, also rund 50 % niedriger als in kleinen Unternehmen mit 10 bis 20 Mitarbeitenden, wo der Anteil 3,6 % erreicht.
- Regionale Verteilung: Der Anteil problematisch konsumierender Erwerbstätiger ist im Tessin mit 0,6 % am niedrigsten und in der Deutschschweiz mit 2,4 % am höchsten, was auf soziokulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung des Problems hinweist.
- Absenzen: Arbeitnehmende mit problematischem Alkoholkonsum fehlen im Schnitt vier Stunden mehr pro Monat – das entspricht etwa einer Arbeitswoche pro Jahr. Das macht 0,15 % des gesamten Arbeitsausfalls in den Unternehmen aus.
- Produktivitätsverlust: Der durch Alkohol bedingte Produktivitätsverlust wird auf 15 % geschätzt.
- Arbeitsunfälle: Etwa 8 % aller Arbeitsunfälle stehen im Zusammenhang mit Alkohol und haben meist gravierendere materielle Folgen. Besonders betroffen ist der sekundäre Sektor.
- Präventionsmassnahmen: 14 % der Unternehmen setzen Präventionsmassnahmen um, insbesondere in den stärker betroffenen Branchen. Diese Massnahmen beinhalten häufig ein Alkoholverbot sowie Einschränkungen beim Zugang zu Alkohol am Arbeitsplatz und führen für die Mehrheit der Betriebe zu einem positiven Kosten-Nutzen-Verhältnis.
- Gesamtkosten: Der problematische Alkoholkonsum am Arbeitsplatz kostet die Schweiz jährlich fast eine Milliarde Franken, was etwa 0,2 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Auch wenn diese Kosten für die Unternehmen erheblich sind, bleibt die makroökonomische Auswirkung begrenzt.
- Kostenaufteilung: 83 % der alkoholbedingten Kosten entfallen auf Produktivitätsverluste, 13 % auf Absenzen und 4 % auf Arbeitsunfälle.
Auch wenn sich die Ergebnisse dieser Studie auf Alkohol beziehen, stellen andere Sucht/-Konsumverhalten am Arbeitsplatz ebenfalls eine Realität dar, die nicht ignoriert werden sollte. Denn ein Grossteil der wirtschaftlichen Kosten von Suchterkrankungen wird von den Unternehmen getragen.
Im Jahr 2021 wurde eine zweite Studie ebenfalls in der Schweiz durchgeführt. Hier die wichtigsten Entwicklungen und Erkenntnisse:
- Gesamtkosten: Die durch Suchtverhalten verursachten Kosten belaufen sich jährlich auf 7,9 Milliarden Franken, was 927 Franken pro Person bzw. 1,1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht.
- Kosten durch Produktivitätsverluste (direkte Kosten): Diese betragen 3,2 Milliarden Franken. Das Gesundheitssystem liegt mit 3,8 Milliarden Franken etwas darüber. Alkohol ist für 75 % dieser Produktivitätsverluste verantwortlich.
- Von Unternehmen getragener Anteil: Mit 3,1 Milliarden Franken tragen die Unternehmen einen erheblichen Teil der Kosten, die durch Suchterkrankungen generiert werden. Die Sozialversicherungen liegen mit 3,2 Milliarden nur leicht darüber.
Fünf gute Gründe
Die Geschäftsleitung trägt Verantwortung für die Gesundheit und die Sicherheit der Mitarbeitenden sowie für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Deshalb lohnt es sich, Massnahmen zur Prävention und Bewältigung von suchtmittelbedingten Problemen zu ergreifen.
Es gibt mindestens fünf gute Gründe, ein betriebliches Präventionsprogramm einzuführen: