Generell
Wenn die / der Arbeitnehmende sich in einem Zustand befindet, in welchem es unmöglich ist, die Arbeit auszuführen oder in welchem sie / er sich selbst oder andere gefährdet, muss die Arbeitgeberin / der Arbeitgeber einschreiten, unabhängig davon, welches die Gründe für diesen Zustand sind.
Die Entwicklung im Bereich der Unfallverhütung geht dahin, dass dem Arbeitgeber immer umfangreichere und genauer umschriebene Pflichten auferlegt werden.
Ein Sicherheitskonzept muss vorliegen, welches die Risikoanalyse, die Anwendung geeigneter Sicherheitsmassnahmen sowie die Zuweisung der Aufgaben und Zuständigkeiten in diesem Bereich regelt. Der Arbeitgeber hat ferner das Personal über die bei ihren Tätigkeiten auftretenden Gefahren korrekt zu informieren und über die Massnahmen zu deren Verhütung anzuleiten (Art. 6 Abs. 1 VUV).
Schliesslich hat der Arbeitgeber zu überwachen, dass die Sicherheitsmassnahmen zur Verhütung von Unfällen strengstens eingehalten werden. Er „sorgt dafür, dass die Arbeitnehmer die Massnahmen der Arbeitssicherheit einhalten“ (Art. 6 Abs. 3 VUV).
Schafft der Arbeitgeber einen gefährlichen Sachverhalt, muss er alle geeigneten Massnahmen ergreifen, um das Eintreten eines Schadens zu vermeiden. Gemäss der Rechtsprechung muss er auch mit den Betriebsgefahren rechnen, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge infolge der Unachtsamkeit oder sogar der Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers vorhersehbar sind. Die Fürsorgepflicht (Art. 328 OR) des Arbeitgebers umfasst folglich die Verhütung aller Unfälle, die nicht auf ein unvorhersehbares Verhalten beziehungsweise auf grobe Fahrlässigkeit des Opfers zurückzuführen sind (BGE 112 II 138). Verletzt der Arbeitgeber die Fürsorgepflicht, wird er nach Art. 97 OR für den daraus entstehenden Schaden schadenersatzpflichtig.
Besteht die Vermutung, dass ein/e Arbeitnehmer/in nicht in der Lage zu sein scheint, seine/ihre Arbeit auszuführen, ohne sich selbst oder Mitarbeitende zu gefährden (z. B. durch die Auswirkungen des Konsums einer psychoaktiven Substanz),
ist der Arbeitgeber verpflichtet, im Rahmen seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten,
die Arbeitsleistung der betroffenen Person im arbeitsunfähigen Zustand (z.B. alkoholisiert) abzulehnen.
Arbeitnehmende sind dazu verpflichtet, den Sicherheits-Richtlinien des Betriebes Folge zu leisten. Mitarbeitende dürfen sich daher nicht in einen Zustand versetzen (sei es durch Alkohol oder ähnliche Produkte), welcher sie selbst oder andere in Gefahr bringt.
Gemäss Artikel 82 Abs. 2 UVG „hat der Arbeitgeber die Arbeitnehmer bei der Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten zur Mitwirkung heranzuziehen“. Die Mitwirkung der Arbeitnehmer ist natürlich unerlässlich, damit der Schutz ihrer Gesundheit gewährleistet werden kann. Sie sind verpflichtet, den Arbeitgeber in der Durchführung der diesbezüglichen Vorschriften zu unterstützen (Art. 82 Abs. 3 UVG1). Artikel 6 Abs. 3 ArG2 enthält ähnliche Bestimmungen.
„Der Arbeitnehmer muss die Weisungen des Arbeitgebers in Bezug auf die Arbeitssicherheit befolgen und die allgemein anerkannten Sicherheitsregeln berücksichtigen“ (Art. 11 Abs. 1 VUV). Gemäss Artikel 11 Abs. 3 VUV, dem in unserem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zukommt, „darf sich der Arbeitnehmer nicht in einen Zustand versetzen, in dem er sich selbst oder andere Arbeitnehmer gefährdet. Dies gilt insbesondere für den Genuss von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln“.
Wenn eine Arbeitgeberin / ein Arbeitgeber weiss, dass eine Person berauscht ist und sie dennoch arbeiten lässt, verletzt sie / er damit ihre / seine Pflicht, die Gesundheit der Mitarbeitenden zu schützen.
Die Anforderungen in Bezug auf den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden nehmen ständig zu. Den neusten Tendenzen zufolge sollen jene Personen haftbar gemacht werden, die nicht alle Massnahmen ergriffen haben, um Unfälle an der Arbeitsstätte zu vermeiden.
Arbeitgeber
Der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer wissentlich in angetrunkenem Zustand arbeiten lässt, verletzt seine Fürsorgepflicht aufs Schwerste. Er kann zivil- und strafrechtlich haftbar gemacht werden. Zudem kann der Unfallversicherer ein ausserordentliches Regressrecht gegen den Arbeitgeber geltend machen oder die Prämien erhöhen.
Vorgesetzte
Inwieweit eine vorgesetzte Person haftbar gemacht werden kann, ist weniger eindeutig. In der Regel besteht zwischen der Person und dem Unfallopfer keine vertragliche Beziehung, und es ist relativ schwierig, sie im Falle einer einfachen Unterlassung wegen einer unerlaubten Handlung zur Verantwortung zu ziehen.
Verletzt die vorgesetzte Person als Hilfsperson seine vertraglichen Pflichten gegenüber seinem Arbeitgeber, kann die vorgesetzte Person allerdings zum Ersatz des dem Arbeitgeber entstandenen Schadens verpflichtet werden. Hat die vorgesetzte Person zudem ihre Garantenstellung nicht wahrgenommen, kann sie auch strafrechtlich belangt werden, sofern die Straftat durch ihre Unterlassung begünstigt wurde.
Screening und Tests
Nur wenn eine Arbeit mit einem hohen Sicherheitsrisiko verbunden ist, kann ein Unternehmen von den Mitarbeitenden präventive Drogentests verlangen. Dieses Vorgehen muss aber im Arbeitsvertrag geregelt sein und die Tests dürfen nur von medizinischen Fachpersonen (z.B. Vertrauensärztin, Personalmedizinischer Dienst) vorgenommen werden.
Angesichts eines problematischen Suchtmittelkonsums eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin kommt dem Arbeitgeber eine grosse Verantwortung zu. Der Konsum von Alkohol und anderen Drogen, welche die Arbeitsleistung zu beeinträchtigen drohen, darf in einem beruflichen Umfeld nicht toleriert werden. Wegen ihrer berauschenden Wirkung sind sie mit den Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen in der Arbeitswelt unvereinbar.
Aus diesem Grund ziehen manche Unternehmen die Einführung von Drogentests (Urinproben, Alkoholtests…) in Erwägung. Sucht Schweiz stimmt solchen Praktiken, die eine Verletzung der Privatsphäre darstellen und dem für einen Dialog erforderlichen Vertrauensverhältnis abträglich sind, nicht zu. Dies umso mehr, als es andere, weniger einschneidende und professionellere Massnahmen gibt, um bei einem Verdacht auf Alkohol- oder Drogenkonsum einzugreifen.
Dennoch ist dieses Thema aktueller denn je. Zahlreiche Unternehmen sind in Anbetracht der immer grösseren rechtlichen Verantwortung des Arbeitgebers im Falle eines Unfalls am Arbeitsort versucht, solche Tests einzuführen. Diese Tests verstossen jedoch alle gegen den Persönlichkeitsschutz. Ausnahmen sind möglich, wenn ein Verdacht auf Alkohol- oder Drogenkonsum besteht und die Einwilligung der Betroffenen zu einem Test vorhanden ist. Will jedoch ein Unternehmen präventive Tests bei Arbeitnehmenden mit risikoreichen Tätigkeiten durchführen, muss dieses Vorgehen in einer Klausel im Rahmen der Arbeitsverträge geregelt sein.
Eine generelle Durchführung von Alkohol- und Drogentests am Arbeitsplatz ist nicht erlaubt.
Die Sicherheit und der Persönlichkeitsschutz der Arbeitnehmenden sind in mehreren Gesetzesbestimmungen geregelt:
- im Obligationenrecht im Artikel über den Persönlichkeitsschutz (Art. 328 OR)
- im Bundesgesetz über den Datenschutz (Art. 3 bis 17 DSG, insbesondere Art. 4 welcher den Grundsatz der Verhältnismässigkeit definiert)
- im Arbeitsgesetz (ArG)
- in den Verordnungen des Bundesrats für den öffentlichen Dienst
Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte hat 2001 festgehalten, dass am Arbeitsplatz generell keine präventiven Alkohol- oder Drogentests durchgeführt werden dürfen, sondern lediglich bei einem Verdacht auf Drogen- oder Alkoholkonsum und nur mit dem Einverständnis der Betroffenen. Bei Risikoberufsgruppen können Alkohol- und Drogentests ausnahmsweise präventiv angeordnet werden. Voraussetzung dafür ist, dass sie stichprobenartig und im Rahmen eines bestimmten, im Arbeitsvertrag umschriebenen Sicherheitsmassnahmenpakets vorgenommen werden.
Falls die Sicherheit dies erfordert, kann ein Betrieb präventive Tests bei einzelnen Personen in bestimmten Funktionen durchführen; dies muss aber in einer speziellen Klausel des Arbeitsvertrages geregelt sein.
Der Datenschutz muss dabei unbedingt respektiert werden. Dies bedeutet, dass die mit der Durchführung des Tests beauftragte medizinische Fachperson der Arbeitgeberin / dem Arbeitgeber keine Details zum Testresultat geben darf; lediglich eine Aussage zur Arbeitsfähigkeit (bzw. Arbeitsunfähigkeit) ist erlaubt.
Der Datenschutz ist ein besonderer Aspekt des Persönlichkeitsschutzes. Unter Personendaten sind sämtliche Auskünfte, Hinweise oder Notizen einschliesslich Bewerbungsunterlagen zur Person des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin zu verstehen, die sich sowohl auf sein Privatleben als auch auf seine berufliche Tätigkeit beziehen. Dieser Begriff umfasst alle Daten, die sowohl vom Arbeitgeber selbst als auch von einem mit dieser Aufgabe betrauten Dritten erhoben werden. Als besonders schützenswert gelten Daten über die Intimsphäre und die Gesundheit.
Dieser Bereich wird hauptsächlich durch das Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz geregelt. Im arbeitsrelevanten Bereich wird dieses Gesetz durch Artikel 328b OR ergänzt, wonach der Arbeitgeber Daten über den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nur bearbeiten darf, soweit sie dessen Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind.
Zu den Daten, die sich auf die Eignung des Arbeitnehmers beziehen, gehören Diplome und frühere Arbeitszeugnisse. Auch Informationen wie die üblichen Angaben zu Alter, Wohnort, Zivilstand und AHV-Nummer, Allergien auf bestimmte Stoffe usw. fallen unter diese Daten. Die für die Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlichen Informationen umfassen insbesondere Daten, die der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten benötigt (Leistungsbeurteilungen, absolvierte Weiterbildungen, Absenzen, Abmahnungs- und Beförderungsschreiben usw.).
Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte erachtet systematische Tests, die bei einer ganzen Kategorie von Arbeitnehmenden durchgeführt werden, als unverhältnismässig und präventive Tests als nur für Risikoberufe als gerechtfertigt. Nicht invasive, verdachtsfreie Atem-Alkoholtests sind präventiv zulässig, invasive Tests (Urin-, Speichel-, Schweiss-, sowie Haar- und Nagelanalysen) sind nur bei Vorliegen eines Verdachts auf bzw. Anzeichen von Dienstunfähigkeit zulässig.
Wünscht ein Unternehmen, solche Tests für bestimmte Risikofunktionen (Personen im Fahrdienst, Maschinen-/Kranführende, Piloten und Pilotinnen, usw.) zu Präventionszwecken einzuführen, muss dies in einem von den Arbeitnehmenden unterzeichneten Sicherheitsmassnahmenpaket festgehalten werden, das integrierender Bestandteil des Arbeitsvertrags ist.
Ausserdem sind die Ergebnisse solcher Tests streng vertraulich zu handhaben. Dem Arbeitgeber darf das detaillierte Ergebnis solcher Tests nicht bekannt gegeben werden. Die zur Vornahme solcher Untersuchungen berechtigten Personen, (medizinische Fachperson, Arbeitsmediziner/-in, Vertrauensarzt/-ärztin), die alle dem Arztgeheimnis unterstehen, dürfen nur ein Urteil abgeben: arbeitsfähig oder arbeitsunfähig. Einzelheiten dürfen nicht weitergegeben werden!
Nur die Patientin oder der Patient kann eine Ärztin / einen Arzt von der Wahrung des Arztgeheimnisses befreien. Eine solche Entbindung von der Schweigepflicht ist nur gültig, wenn sie freiwillig, ohne jeden Druck erteilt worden ist. Eine Entbindung kann nicht generell gegeben werden, sondern gilt nur für den jeweils angegebenen Zweck.
Im weiteren Sinne umfasst das Arztgeheimnis, das in Wirklichkeit ein Patientengeheimnis ist, eine Geheimhaltungspflicht, der das gesamte Pflegepersonal sowie weitere Berufe des Gesundheitswesens unterstehen. Im engeren Sinne ist das Arztgeheimnis eine Pflicht zur Verschwiegenheit, der insbesondere die Angehörigen bestimmter Gesundheitsberufe (Medizinisches, Zahnmedizinisches und Pharmazeutisches Fachpersonal, Geburtshelfende etc.) sowie ihre Hilfspersonen gemäss Artikel 321 Abs.1 des Strafgesetzbuches unterstellt sind.
Die Einwilligung der Betroffenen bildet in der Regel die massgebliche Grundlage für die Behandlung und insbesondere für die Weitergabe von Personendaten (Art. 6 Abs. 6 DSG). Sie ist auch erforderlich für die Entbindung vom Berufsgeheimnis (Art. 321 Ziff. 2 Strafgesetzbuch). Die Einwilligung ist nur gültig, wenn sie aus freien Stücken gegeben wurde und keine übermässige Bindung im Sinne von Art. 27 Abs. 2 ZGB darstellt. Die Tragweite der Einwilligung muss in jedem Einzelfall nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip geprüft werden: Das bedeutet, dass mit der Einwilligung lediglich jene Informationen an Dritte weitergegeben werden dürfen, die für den Zweck, zu dem die Einwilligung gegeben wurde, erforderlich sind.
Grundsätzlich kann der Patient oder die Patientin die Einwilligung zur Weitergabe von Informationen an Dritte nur für ihm bekannte Tatsachen erteilen. Sie sollte zudem auf einen bestimmten Zweck beschränkt sein. Ein Patient oder eine Patientin, welcher der Offenbarung des Arztgeheimnisses für die Gegenwart und die Zukunft zustimmen würde und dessen Einwilligung einen vollständigen Verzicht auf jegliche Intimität zur Folge hätte, würde daher die Sittlichkeit verletzen. Das Recht auf Intimsphäre ist Teil des Persönlichkeitsrechts. Als solches ist es unveräusserlich.
In einem Arbeitsverhältnis muss die Einwilligung der Arbeitnehmenden angesichts ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Abhängigkeit vom Arbeitgeber zweifellos anhand besonders strenger Kriterien beurteilt werden. Gemäss der herrschenden Lehre ist der Arbeitgeber trotz der Einwilligung der Arbeitnehmenden an die in Artikel 328b OR, festgelegten Schranken gebunden, weil es sich dabei um eine so genannt relativ zwingende Bestimmung, von der nur zu Gunsten der Arbeitnehmenden abgewichen werden darf, handelt (vgl. Art 362 OR).
Aus diesen verschiedenen Rechtsquellen geht eindeutig hervor, dass eine konkrete Gefahr bestehen muss, damit der Arbeitgeber systematische Tests vornehmen darf. Ausschlaggebend ist dabei die Verhältnismässigkeit zwischen der konkreten Gefahr und der Verletzung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin. Alle diese Gesetzesbestimmungen regeln die Kontrollmöglichkeiten am Arbeitsplatz sehr restriktiv.
Kürzung der Leistungen
Kommt es während der Arbeitszeit in berauschten Zustand zu einem Unfall mit einem Fahrzeug oder mit einer Maschine, können die Versicherungsleistungen gekürzt werden, sofern ein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen dem Suchtmittelkonsum und dem Unfall nachgewiesen werden kann.
Im Bereich der Unfallverhütung unterscheidet das Gesetz zwischen Berufsunfällen und Nichtberufsunfällen.
Bei einem Arbeitsunfall, selbst wenn er durch Suchtmittelkonsum verursacht wurde (grobe Fahrlässigkeit gemäss Art. 37 Abs. 2 UVG1), besteht Anspruch auf die Versicherungsleistung, wenn die Gesundheitsschädigung/der Tod nicht absichtlich herbeigeführt wurde (Art. 21 Abs. 1 ATSG) und kein Verbrechen oder Vergehen vorliegt. Bei Verbrechen bzw. Vergehen werden die Leistungen jedoch auch bei der nicht vorsätzlichen Ausübung gekürzt und im Extremfall sogar verweigert. Ist der Unfall auf das Führen eines Fahrzeugs oder einer Maschine in angetrunkenem Zustand zurückzuführen, können die Geldleistungen, d. h. die Taggelder oder Renten, gekürzt werden, sofern ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Suchtmittelkonsum gegeben ist. Die Behandlungskosten sind davon nicht betroffen (Art. 37 Abs. 3 UVG2).
Ist Einfluss eines Suchtmittels die Ursache eines Nichtberufsunfalls, kann dem Versicherten die Leistung verweigert oder gekürzt werden, selbst wenn kein Verbrechen oder Vergehen vorliegt. Grobe Fahrlässigkeit oder eine als Wagnis geltende Handlung reichen für eine solche Massnahme bereits aus. Gemäss Art. 50 UVV gilt als Wagnis jede Handlung, bei der „sich der Versicherte einer besonders grossen Gefahr aussetzt, ohne die Vorkehrungen zu treffen oder treffen zu können, die das Risiko auf ein vernünftiges Mass beschränken“. Unangemessener und übermässiger Alkoholkonsum kann unter diese Definition subsumiert werden und die Verweigerung von Geldleistungen nach sich ziehen.
Entlassung
Eine Suchterkrankung ist kein ausreichender Grund jemandem die Stelle zu kündigen. Eine Kündigung ist dann möglich, wenn die Arbeitsleistungen mangelhaft sind.
Die Kündigung einer Person, die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Substanzkonsum hat, wirft heikle Fragen auf. Die Rechtmässigkeit einer solchen Kündigung hängt von den genauen Umständen des Einzelfalls ab. Der dabei gewählte Wortlaut ist massgeblich.
Eine Kündigung ist missbräuchlich, wenn sie einzig und allein auf der Tatsache gründet, dass die Person alkoholabhängig oder süchtig ist, d. h. ohne dass das Konsumverhalten Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit hat. Nicht missbräuchlich ist eine Kündigung hingegen, wenn ein problematischer Suchtmittelkonsum die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt und der Kündigungsgrund entsprechend formuliert wird: „Weil Ihre Arbeitsleistung eindeutig ungenügend ist“. Ist die arbeitnehmende Person krankgeschrieben, geniesst sie grundsätzlich einen Kündigungsschutz, dank dem die Wirkungen der Auflösung des Arbeitsvertrags nicht eintreten oder aufgeschoben werden.
Der Persönlichkeitsschutz nach Art. 328 OR, zu dem auch der Schutz der im Unternehmen beschäftigten Arbeitsnehmenden gehört, kann es dem Arbeitgeber gebieten, den Arbeitsvertrag mit einer Person mit Suchtproblematik zu kündigen.
Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Persönlichkeit oder die Gesundheit der Mitarbeitenden gefährdet ist.
Das Schweizer Recht erlaubt es sowohl Arbeitnehmenden als auch Arbeitgebenden, ohne Angabe von Gründen einen Arbeitsvertrag aufzulösen, sofern die gesetzlichen Fristen eingehalten werden.
Das schweizerische Vertragsrecht beruht auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Die Parteien sind somit unter Einhaltung der im Gesetz festgelegten Fristen und Bedingungen berechtigt, den Arbeitsvertrag nach freiem Willen und ohne Angabe von Gründen aufzulösen. Darin unterscheidet sich unser Recht von jenem der meisten anderen europäischen Länder, die an das Übereinkommen Nr. 158 der Internationalen Arbeitsorganisation gebunden sind und in denen ein Arbeitsverhältnis nur aus einem triftigen Grund beendet werden darf, der mit der Fähigkeit oder dem Verhalten des Arbeitnehmers zusammenhängt oder sich auf die Erfordernisse der Tätigkeit des Unternehmens stützt.
Gemäss Art. 335 Abs. 2 OR muss die kündigende Partei die Kündigung zwar schriftlich begründen, wenn die andere Partei dies verlangt. Ein Verstoss gegen die Begründungspflicht hat jedoch keine Auswirkung auf die Gültigkeit der Kündigung. Das Arbeitsverhältnis endet nämlich nach Ablauf der Kündigungsfrist, selbst wenn der Arbeitgeber sich weigert, die Kündigungsgründe schriftlich mitzuteilen. Eine solche Weigerung kann allerdings im Rahmen eines allfälligen Kündigungsschutzprozesses über die Beweiswürdigung oder die Regelung der Prozesskosten indirekt sanktioniert werden. Die Begründungspflicht dient der gekündigten Partei in erster Linie dazu, die Kündigungsgründe zu überprüfen.
Eine Kündigung ist dann missbräuchlich, wenn sie einzig aufgrund einer inhärenten Eigenschaft der Person ausgesprochen wurde (z.B. Geschlecht, Familienzustand, Herkunft, Rasse, Nationalität, sexuelle Orientierung, Alter, Vorstrafen, Erkrankungen oder Gebrechen). Falls diese Eigenschaft aber die Arbeitsleistung der Person erheblich beeinträchtigt, ist eine Kündigung deswegen möglich.
Jedes Recht kann missbräuchlich ausgeübt werden (vgl. Art. 2 Abs. 2 ZGB1). Das gilt auch für die Kündigung: In gewissen Fällen wird sie als missbräuchlich betrachtet. Mit dieser Frage befassen sich die Art. 336 ff. OR. Nach Auffassung des Gesetzgebers ist dabei nicht der Zweck der Kündigung, nämlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, unrechtmässig, sondern der tiefere Grund, der eine der Parteien zur Auflösung des Vertrags bewog.
Hierzu ist zu bemerken, dass der missbräuchliche Charakter einer Kündigung deren Gültigkeit nicht beeinträchtigt. Hingegen hat das Opfer einer solchen Kündigung grundsätzlich Anrecht auf eine Entschädigung, die vom Richter festgesetzt wird und die Höhe von sechs Monatslöhnen nicht übersteigen darf. (Art. 336a OR)2.
Art. 336 OR zählt acht Fälle missbräuchlicher Kündigungen auf, wobei es sich nicht um eine abschliessende Liste handelt. Im Zusammenhang mit dem hier behandelten Thema ist v. a. Art. 336 Abs. 1 lit. a3 über die so genannte diskriminierende Kündigung zu beachten. Dieser Bestimmung zufolge ist eine Kündigung missbräuchlich, wenn sie wegen einer Eigenschaft ausgesprochen wurde, die der anderen Partei kraft ihrer Persönlichkeit zusteht, es sei denn, diese Eigenschaft stehe in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige wesentlich die Zusammenarbeit im Betrieb (Rechtfertigungsgründe).
Persönliche Eigenschaft
Zu den vom Gesetz als schützenswert erachteten persönlichen Eigenschaften zählen insbesondere Geschlecht, Familienstand, Herkunft, Ethnie, Nationalität, sexuelle Orientierung, Alter, Vorstrafen sowie Krankheit oder Behinderung.
Das Bundesgericht hat die Krankheit ausdrücklich als persönliche Eigenschaft im Sinne von Artikel 336 Abs. 1 lit. a OR anerkannt (unveröffentlichtes Urteil des BGer. vom 5. August 2004, 4C.174/2004, E. 2.2.2). Konsumprobleme oder eine Suchterkrankung sind zweifelsfrei eine persönliche Eigenschaft der Person unabhängig davon, ob sie als Krankheit, Gewohnheit oder Konsumpräferenz betrachtet werden. Folglich könnte eine Kündigung, die sich ausschliesslich auf diese Eigenschaft stützt, als missbräuchlich im Sinne der oben stehenden Bestimmung gelten.
Möglichkeit eines Rechtfertigungsgrunds
Der Arbeitgeber darf die Kündigung gestützt auf einen Rechtfertigungsgrund aussprechen. Grundsätzlich liegt kein Missbrauch vor, wenn der Kündigungsgrund in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, insbesondere mit der Arbeitspflicht und der Treuepflicht des Arbeitnehmers, steht (vgl. BGer vom 5. August 2004, 4C.174/2004, E. 2.2.2). Wird einer Person gekündigt, weil sie auf Grund ihrer Konsumprobleme ihre Arbeitsleistung nicht korrekt erbringt, ist diese Kündigung nicht missbräuchlich. In diesem Fall steht der Kündigungsgrund in Bezug zum Arbeitsverhältnis.
Hingegen ist die Kündigung infolge einer latenten Krankheit wie der Seropositivität missbräuchlich, wenn diese Krankheit in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht.
Möchte sich der Arbeitgeber auf diesen Rechtfertigungsgrund berufen, muss er beweisen, dass dieser relevant und er nicht Verursacher der von ihm geltend gemachten Situation ist. Selbstverständlich wäre die Kündigung missbräuchlich, wenn der Arbeitgeber selbst die arbeitnehmende Person zum Konsum veranlasst hätte. Ferner gilt es zu beachten, dass der Arbeitgeber, der keine Massnahmen ergreift, um Probleme im Zusammenhang mit Suchtmitteln zu verhindern oder zu vermindern, zumindest teilweise für die von ihm geltend gemachte Situation mitverantwortlich ist. Die Entlassung einer suchtmittelabhängigen Person wäre somit missbräuchlich im Sinne von Artikel 336 OR.
Das Gesetz schützt Arbeitnehmende vor eine Kündigung zur Unzeit.
Eine Kündigung während dieser Zeit ist ungültig und wirkungslos. Die Arbeitgeberin / der Arbeitgeber muss die Kündigung nach Ablauf dieser Frist erneut aussprechen, damit sie wirksam wird.
Artikel 336c OR1 schützt Arbeitnehmende vor einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zur Unzeit. Der Arbeitgeber darf beispielsweise dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin nicht kündigen, während dieser oder diese ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab dem zweiten bis und mit fünften Dienstjahr während 90 Tagen und ab dem sechsten Dienstjahr während 180 Tagen.
Eine während einer solchen Sperrfrist ausgesprochene Kündigung ist nichtig. In diesem Fall müsste der Arbeitgeber der Person nach Ablauf der Schutzfrist erneut kündigen. Wenn hingegen die Kündigung vor Beginn einer solchen Frist erfolgte, aber die Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen ist, so wird deren Ablauf unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt. Die Kündigung bewahrt jedoch ihre Gültigkeit, so dass der Arbeitgeber sie nicht erneut aussprechen muss.
Es obliegt dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin, den Beweis für die Arbeitsunfähigkeit infolge einer Krankheit zu erbringen. Zu diesem Zweck wird in den meisten Fällen ein Arztzeugnis eingereicht, in welchem jedoch die Art der gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht beschrieben sein muss, da sie durch das Arztgeheimnis geschützt ist. Es reicht, wenn daraus der Prozentsatz und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ersichtlich sind, sowie ob es sich um eine Krankheit oder einen Unfall handelt.
Dem Gesetzestext zufolge muss der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder Unfall an der Arbeitsleistung verhindert sein. Die Frage des Verschuldens ist jedoch restriktiv auszulegen, so dass der gesetzliche Schutz lediglich durch ein schweres Verschulden der arbeitnehmenden Person ausgeschlossen werden kann.
Nach Ansicht eines Teils der Rechtslehre sollte sich die Schuldfrage nur in jenen äusserst seltenen Fällen stellen, in denen die arbeitnehmende Person ihren Zustand absichtlich verschlimmert, indem sie insbesondere eine medizinische Behandlung verweigert. Da die Alkoholabhängigkeit als eine Krankheit anerkannt ist, kann die Arbeitsunfähigkeit infolge ihrer Behandlung nicht als selbstverschuldet gelten.
Auch wenn eine Abhängigkeit eine Krankheit ist, kann der Arbeitgeber eine Kündigung aussprechen, wenn die alkoholabhängige Person trotz mehrmaliger Warnungen ihr Verhalten nicht verändert und damit sowohl die eigene Gesundheit als auch die der anderen Mitarbeitenden gefährdet. Besteht eine erhebliche Unfallgefahr, ist eine Kündigung auch möglich, wenn ausschliesslich die Gesundheit der betroffenen Person gefährdet ist, beispielsweise durch das Risiko eines schweren Unfalls.
Gemäss Artikel 328 OR hat der Arbeitgeber die Persönlichkeit, das Leben und die Gesundheit seiner Arbeitnehmenden zu schützen. Der Arbeitgeber hat nicht nur alle Eingriffe in die Rechte der Arbeitnehmenden zu unterlassen, sondern muss auch alle erforderlichen Massnahmen treffen, um sie vor solchen Eingriffen zu schützen. Demnach muss er die Arbeitsorganisation und die Verantwortlichkeiten festlegen, die Aufgaben zuweisen, die nötigen Anweisungen erteilen und deren Einhaltung überwachen.
Auf Grund dieser Fürsorgepflicht hat er geeignete Massnahmen zu ergreifen, wenn die Persönlichkeit oder die Gesundheit eines oder mehrerer Arbeitnehmenden Eingriffen ausgesetzt sind, insbesondere wenn diese von anderen Mitgliedern des Personals ausgehen.
Es besteht sogar die Auffassung, dass eine Person, die die Persönlichkeitsrechte eines Arbeitskollegen oder einer Arbeitskollegin erheblich verletzt, indem sie ihn oder sie beispielsweise bedroht, gegen seine/ihre arbeitsvertraglichen Pflichten aufs Schwerste verstösst, so dass eine fristlose Kündigung nach Artikel 337 OR2 angezeigt sein kann.
Im Falle einer suchtbetroffenen Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber folglich zu beurteilen, ob die betroffene Person in der Lage ist, ihre Arbeitsleistung unter zufriedenstellenden Sicherheitsbedingungen zu erbringen. Trifft dies nicht zu, muss er sie von seiner Arbeitsleistung freistellen und sie auffordern, nach Hause zu gehen. Im Einzelfall kann sich der Arbeitgeber auch gezwungen sehen, das Arbeitsverhältnis mit einer suchtbetroffenen Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer aufzulösen, wenn diese oder dieser z.B. ein gewalttätiges oder beleidigendes Verhalten gegenüber den Arbeitskollegen und -kolleginnen trotz einer oder mehreren Abmahnungen nicht ändert. Das Gleiche gilt natürlich, wenn die betroffene Person die Gesundheit ihrer Kollegen und Kolleginnen gefährdet.
Der Arbeitgeber könnte sich auch veranlasst sehen, eine suchtbetroffene Person zu entlassen, die ihre eigene Gesundheit gefährdet. Dies wäre der Fall, wenn ihm diese Massnahme als geeignet erscheint, um das Risiko eines schweren Unfalls zu vermeiden.
An dieser Stelle sei festgehalten, dass, sofern die Bedingungen für eine fristlose Entlassung gemäss
Artikel 337 OR erfüllt sind, die Kündigung gültig ist, selbst wenn sie während einer der Schutzfristen gegen eine Kündigung zur Unzeit im Sinne von Artikel 336c OR erfolgt.
Vertragliche Begleitmassnahmen
Um zu vermeiden, dass eine Person mit problematischem Suchtmittelkonsum oder Verhalten ihre Arbeit verliert, gibt es in zahlreichen Unternehmen die Möglichkeit der Behandlungsvereinbarungen.
Der Stellenverlust stellt für eine suchtbetroffene Person ein Ereignis dar, das deren Marginalisierung tendenziell verstärkt und ihre Heilungschancen vermindert. Um das Eintreten solcher Extremfälle zu vermeiden, bieten daher zahlreiche Unternehmen der betroffenen Person zunächst eine Behandlungsvereinbarung an. Häufig schlagen sie dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin vor, die aufgrund der Verfehlungen eingeleiteten administrativen Massnahmen aufzuschieben, sofern er oder sie sich zu einer Behandlung verpflichtet.
Auch wenn Behandlungsvereinbarungen nur einen geringen juristischen Wert haben, tragen sie dazu bei, dass sich die betroffene Person in Behandlung begibt, da sie damit anderen negativen Konsequenzen ihres Fehlverhaltens entgehen kann.
Eine solche Behandlungsvereinbarung ist in unserem Rechtssystem nicht gesetzlich geregelt und muss daher als Innominatvertrag bezeichnet werden. Unterzeichnet wird sie einerseits durch den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin und andererseits durch den Arbeitgeber (z.B. direkt vorgesetzte Person bzw. Person mit Personalverantwortung). Je nach Situation kann diese Vereinbarung auch durch die behandelnde Suchtfachstelle aufgesetzt und unterzeichnet werden. In diesem Fall handelt es sich um einen Dreiparteienvereinbarung.
Die juristische Analyse einer solchen Vereinbarung gestaltet sich schwierig, da es nicht einfach ist, die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien zu bestimmen. Im Falle eines Streites der Parteien über die Auslegung oder Anwendung einer solchen Vereinbarung wäre es darüber hinaus problematisch zu bestimmen, ob das Arbeits- oder das ordentliche Gericht zuständig ist.
Es ist natürlich nicht möglich, im Voraus zu wissen, wie ein Schweizer Gericht eine solche Vereinbarung beurteilen würde. Das Ergebnis würde zudem je nach Sitz und Zusammensetzung des Gerichts unterschiedlich ausfallen. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass die Rechtmässigkeit der Vereinbarung in Frage gestellt würde, wenn das Gericht der Meinung ist, dass die Vereinbarung die Persönlichkeitsrechte verletzt und eine übermässige Bindung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin darstellt.
Es sei daran erinnert, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Persönlichkeit der Arbeitnehmenden zu schützen (Art. 328 Abs. 1 OR1). Zur Persönlichkeit gehören alle Aspekte des Privatlebens. Aus diesem Grund ist es äusserst heikel, wenn ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin ausserhalb von der Arbeitszeit zu einem bestimmten Verhalten zwingt. Immerhin trifft der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin die Treuepflicht, d. h. unter Umständen vermag suchtmittelbedingtes Fehlverhalten auch in der Freizeit die Interessen des Arbeitgebers zu tangieren, z. B. bei so genannten Tendenzbetrieben (Lehrpersonen einer konfessionellen Privatschule, Angestellte einer Suchtpräventionsstelle etc.). Der Arbeitnehmer kann natürlich einer solchen Vereinbarung zustimmen. Diese könnte jedoch rechtlich als nichtig betrachtet werden, wenn die Zustimmung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin eine übermässige Bindung darstellt. Artikel 27 Abs. 2 des Zivilgesetzbuches2 schützt nämlich die persönliche Freiheit vor Entscheidungen, die einen übermässigen und gegen die Sittlichkeit verstossenden Eingriff darstellen.
In einem konkreten Fall geht es folglich nicht darum zu bestimmen, unter welcher Krankheit oder Abhängigkeit ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin leidet, sondern es muss festgestellt werden, ob er oder sie in Anbetracht der oben erwähnten Kriterien in der Lage ist, die Arbeitsleistung korrekt zu erbringen.
Wenn die betroffene Person ihre Arbeitsleistung korrekt erbringt und ihre Abhängigkeit damit keinen sichtbaren oder spürbaren Einfluss auf ihre Arbeitsleistung hat, darf der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer oder von der Arbeitnehmerin nicht verlangen, das Verhalten zu ändern. Das heisst, eine Vereinbarung darf nicht die Bedingung enthalten, dass die betroffene Person den Konsum einstellt und sich dazu in Behandlung begibt. Denn es besteht die Gefahr, dass eine solche Vereinbarung als nichtig erklärt wird (vgl. Art. 20 Abs. 1 OR1), falls ihr Inhalt als sittenwidrig erachtet wird, weil die Vereinbarung eine übermässige Bindung des Arbeitnehmers mit sich bringt (Art. 27 Abs. 2 ZGB2).
Wenn eine betroffene Person ihre Arbeitsleistung wegen ihres Suchtverhaltens nicht korrekt erbringt, verhält es sich anders. In diesem Fall ist der Arbeitgeber berechtigt, sie abzumahnen und aufzufordern, ihr Verhalten zu ändern. Je nach Schwere der Verfehlungen der betroffenen Person hat der Arbeitgeber sogar das Recht, den Arbeitsvertrag fristlos aufzulösen, je nach Situation mit oder ohne vorhergehende Verwarnung (Vgl. Art. 337 OR1). Im Sinne eines Entgegenkommens kann der Arbeitgeber der betroffenen Person auch eine Frist zur Änderung ihres Verhaltens setzen.
In einer solchen Situation ist eine Behandlungsvereinbarung sinnvoll. Dabei verpflichtet sich der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin, die erforderlichen Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsleistung zu ergreifen, während der Arbeitgeber sich verpflichtet, den Arbeitsvertrag während einer bestimmten Zeitdauer (Mindestvertragsdauer) nicht aufzulösen.
Aperos, Freunde und Partys
Hat eine Arbeitnehmerin / ein Arbeitnehmer unter dem Einfluss von Suchtmitteln (z.B. Alkohol) einen Unfall ausserhalb des Arbeitsplatzes und ausserhalb der Arbeitszeit, kann die Arbeitgeberin / Arbeitgeber nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Dies auch dann nicht, wenn der Suchtmittelkonsum (z.B. Alkohol) am Arbeitsplatz geschehen ist.
Der Arbeitgeber hat die Gesundheit seiner Angestellten im Betrieb zu schützen. Er hat insbesondere sicherzustellen, dass diese ihre Arbeitsleistung erbringen können, ohne dass dabei ihre Gesundheit beeinträchtigt oder ihre Persönlichkeit verletzt wird.
In einem in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten vertreten die Juristen allerdings die Meinung, dass der Arbeitgeber nicht für die gute Gesundheit seiner Arbeitnehmer im Allgemeinen verantwortlich ist. Er kann somit nicht für einen Unfall haftbar gemacht werden, der sich ausserhalb des Unternehmens und ausserhalb der Arbeitszeit ereignet, selbst wenn er auf Suchtmittelkonsum (z.B. Alkohol) am Arbeitsplatz zurückzuführen ist. Denn meist fehlt hier der Kausalzusammenhang. Grundsätzlich kann er auch im Rahmen der Unfallversicherung nicht haftbar gemacht werden.
Betriebsinterne Apéros, Betriebsfeste und die Konsumation im betriebseigenen Restaurant stellen Ausnahmen dar, bei welchen die Arbeitgeberin / der Arbeitgeber nicht zur Verantwortung gezogen werden kann.
Bei Apéros, Betriebsfesten und der Konsumation im betriebseigenen Restaurant ist eine Haftung der Arbeitgeberin / des Arbeitgebers aus folgenden Gründen ausgeschlossen:
- Die zu verhindernde Gefahr ist schwer bestimmbar, da nicht alle Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer gleich viel Alkohol trinken und nicht alle die gleiche Alkoholtoleranz aufweisen. Es ist sehr wohl möglich, an einem Apéro teilzunehmen und dort Alkohol zu trinken, ohne die Gesundheit zu schädigen oder ein erhöhtes Unfallrisiko einzugehen.
Von der Durchführung solcher Anlässe lässt sich keine spezifische Haftung des Arbeitgebers wegen Verletzung seiner Fürsorgepflicht ableiten. Der Arbeitgeber könnte sogar einwenden, dass sich solche Veranstaltungen positiv auf das Arbeitsverhältnis auswirken, dass sie den Teamgeist stärken und zur Verbesserung der Beziehungen unter den Mitarbeitenden beitragen.
- Arbeitnehmende sind an solchen Apéros, Personalabenden oder im Betriebsrestaurant nicht gezwungen, Alkohol zu konsumieren. Wer frei entscheiden kann, ist folglich auch in der Lage, darüber zu entscheiden, ob er/sie eine allfällige Beeinträchtigung seiner Gesundheit riskieren möchte.
- Meistens treten die Folgen oder die Unfallrisiken nicht am Arbeitsplatz ein. Das Ereignis wird dann als Nichtberufsunfall behandelt, für den die Arbeitgeberin / der Arbeitgeber keine Verantwortung trägt.
Unfälle, insbesondere Verkehrsunfälle, die sich nach einem Betriebsanlass ereignen, gelten grundsätzlich als Nichtberufsunfälle. Es ist irrelevant, ob bei dem Anlass Alkohol ausgeschenkt wurde oder nicht. Kommt es aufgrund eines übermässigen Alkoholkonsums zu einem Unfall, ist allein die / der Konsumierende verantwortlich.
Die Kürzung und Verweigerung von Versicherungsleistungen ist nicht einheitlich geregelt. Bei Berufsunfällen ist die Leistungskürzung auf das vorsätzliche Verschulden beschränkt. Bei Nichtberufsunfällen werden die Leistungen hingegen auch dann gekürzt, wenn den Arbeitnehmenden ein schweres nicht vorsätzliches Verschulden trifft.
Unfälle (vor allem Verkehrsunfälle), die sich nach einem Betriebsanlass ereignen, an dem alkoholische Getränke konsumiert wurden, gelten grundsätzlich als Nichtberufsunfälle.
Im Rahmen der Unfallversicherung ist eine allfällige Haftung des Arbeitgebers deshalb im Prinzip nicht denkbar. Für den übermässigen – und gelegentlichen – Alkoholkonsum ist einzig und allein der Versicherte verantwortlich.
Verursacht ein Arbeitnehmer / eine Arbeitnehmerin in angetrunkenem Zustand einen Nichtberufsunfall, wird
er / sie alleine dafür haftbar gemacht und die in den Bundesgesetzen (insbesondere UVG und SVG) vorgesehenen Leistungskürzungen können zur Anwendung kommen.
Als Berufsunfall gelten Unfälle, welche bei Tätigkeiten im Auftrag des Betriebes geschehen.
Gemäss Artikel 7 Absatz 1 UVG gelten als Berufsunfälle „die Unfälle (Art. 4 ATSG1) die der versicherten Person zustossen:
- bei Arbeiten, die er auf Anordnung der Arbeitgeberin / des Arbeitgebers oder in deren / dessen Interesse ausführt;
- während der Arbeitspausen sowie vor und nach der Arbeit, wenn sie sich befugterweise auf der Arbeitsstätte oder im Bereiche der mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammenhängenden Gefahren aufhält.“
Die verschiedenen Elemente dieser Definition wurden von den Versicherern, die mit deren Anwendung beauftragt sind, weiter präzisiert. So liegt die Grenze der „Arbeitsstätte“ bei der Umzäunung des Betriebsareals. (Öffentliche) Zufahrtsstrassen und Zufahrtswege zählen hingegen nicht mehr zur Arbeitsstätte. Ferner werden die Zeit vor und nach der Arbeit sowie Arbeitsunterbrechungen dem Arbeitsbereich zugeordnet, sofern die versicherte Person die Arbeitsstätte nicht verlässt2. Folglich gelten als Nichtberufsunfälle alle Unfälle, die sich ereignen, nachdem die Arbeitnehmerin / der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte verlassen hat.
Artikel 12 der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV) enthält nützliche Angaben zu besonderen Situationen, insbesondere zu Betriebsausflügen. Gemäss Absatz 1 dieser Verordnung „gelten als Berufsunfälle im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 UVG insbesondere auch Unfälle, die dem Versicherten zustossen:
- auf Geschäfts- und Dienstreisen nach Verlassen der Wohnung und bis zur Rückkehr in diese, ausser wenn sich der Unfall während der Freizeit ereignet;
- bei Betriebsausflügen, die der Arbeitgeber organisiert oder finanziert;
- beim Besuch von Schulen und Kursen, die nach Gesetz oder Vertrag vorgesehen oder vom Arbeitgeber gestattet sind, ausser wenn sich der Unfall während der Freizeit ereignet;
- bei Transporten mit betriebseigenen Fahrzeugen auf dem Arbeitsweg, die der Arbeitgeber organisiert und finanziert.
Im Zusammenhang mit Betriebsausflügen gehen die Versicherer von einem Berufsunfall aus, wenn folgende Voraussetzungen ganz oder teilweise erfüllt sind:
- die Veranstaltung findet an einem bezahlten Arbeitstag statt
- muss von den Betriebsangehörigen mehr oder weniger obligatorisch besucht werden
- wird vom Betrieb organisiert oder teilweise bezahlt.
Quelle (auf Französisch): Recommandations de la Commission ad hoc Sinistres LAA
Gemäss Artikel 8 Absatz 1 UVG gelten als Nichtberufsunfälle „alle Unfälle (Art. 4 ATSG), die nicht zu den Berufsunfällen zählen“. Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmende, deren wöchentliche Arbeitszeit bei einem Arbeitgeber mindestens acht Stunden beträgt, sind auch gegen Nichtberufsunfälle versichert (Art. 13 Abs. 1 UVV). Für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmende, deren wöchentliche Arbeitszeit dieses Mindestmass nicht erreicht, gelten Unfälle auf dem Arbeitsweg als Berufsunfälle (Art. 13 Abs. 2 UVV).